Ein Galgo zieht ein - Erfahrungsbericht

Ein Galgo zieht ein

Es ist soweit. Der große Tag ist da. Euer Galgo zieht bei euch ein. Vielleicht habt ihr ihn nach guter Beratung aus einer Pflegestelle übernommen oder eventuell auch selbst direkt von einem Transport oder Flughafen abgeholt. Vielleicht ist es euer erster Windhund aus dem Tierschutz, vielleicht habt ihr auch schon einen solchen Hund bei euch Zuhause und möchtet ihm einen passenden Gefährten der gleichen Gesinnung gönnen. Vielleicht haben euch Vereine beraten und Freunde von ihren eigenen Erfahrungen berichtet. Seid euch jedoch darüber im Klaren: Bei diesem Galgo kann alles ganz anders sein. Bitte vergesst das nie.

Wer sich ein bisschen im Internet belesen oder in Windhundkreisen informiert hat, der bemerkt sehr schnell, wie viel Beachtung dem Thema Sicherheit/Sicherung beigemessen wird. Und wer noch nie einen panischen Galgo erlebt hat, kann sich das einfach nicht vorstellen und empfindet die vielen Ratschläge möglicherweise als maßlos übertrieben oder als Bevormundung, aber bitte unterschätzt niemals die enorme Wichtigkeit dieser Botschaft.

Obwohl der größte Teil der Galgovermittler aller Vereine sehr gewissenhafte Aufklärung betreibt, verunglücken erschreckend viele Galgos kurz nach dem Umzug in ihre Familien und das, nachdem Tierschützer in Spanien und Deutschland so viel Mühe und Herzblut in die Rettung, die gesundheitliche Sanierung und Vermittlung investiert haben. Das ist so unsagbar traurig.

Besonders wenn ihr noch keine Windhunde kennt, erst recht keine Galgos aus dem Tierschutz, sondern eben nur die "normalen" Hunde, die hier überwiegend in Deutschland gehalten werden, hat man als Anfänger kaum eine Vorstellung davon, was im hübschen Köpfchen des geliebten neuen Familienmitgliedes vor sich geht. Galgos haben eine zarte zerbrechliche Seele, können sogar sehr zimperlich und wehleidig sein, kommen in zierlicher bildhübscher Gestalt daher, meistens noch untergewichtig, was bei vielen Menschen zwangsläufig den Beschützerinstinkt weckt.

Galgos können sich aber auch schon im nächsten Moment in einen wilden unbändigen gnadenlosen Jäger verwandeln, der kein Erbarmen mit seiner Beute kennt.

Vielleicht habt ihr auch das Glück, einen total coolen Galgo erwischt zu haben, der wie ein Fels in der Brandung neben euch steht, was auch immer um ihn herum geschieht. Mein erster Galgo Lopez war so ein Hund. Ein Glücksfall für mich, denn auch ich war damals Windhund-Anfänger.

Ich möchte an dieser Stelle gerne etwas ganz Wichtiges einfügen. Lasst euch bei der Auswahl eures Galgos beraten. Für eine gelungene Vermittlung und eine hoffentlich lange glückliche gemeinsame Zeit mit eurem Galgo ist das Wesen des Hundes hundertmal wichtiger als sein Aussehen. Ich sage ja gerne: Ein Galgo-Anfänger braucht einen Anfänger-Galgo. Der erste Galgo richtet den Weg. Solche Galgos findet man aber nicht so häufig.
 

Sicherung, Sicherung und nochmals Sicherung

Im besten Fall ist der gerade aus Spanien angereiste Galgo einigermaßen sozialisiert, nicht traumatisiert und bei mäßiger Gesundheit. Selbst dann ist er vom Verhalten her noch meilenweit von Labrador, Border & Co. entfernt. Die meisten der geretteten Galgos jedoch haben extrem schwere Zeiten erlebt und manch einer ist selbst für erfahrene Galgohalter immer wieder eine neue Herausforderung. Wird ein Welpe in der frühen Entwicklungsphase nicht ausreichend gut sozialisiert, bleibt er später vermutlich immer etwas scheu, das gilt generell für alle Hunde. Wenn nun ein Galgowelpe, was in Spanien eher üblich ist, nur sehr wenig kennengelernt hat in dieser wichtigen Entwicklungsphase des Gehirns, dann kann man diese Defizite später einfach nicht gänzlich "ausbügeln". Solche Hunde behalten meist unterschiedlichste, für uns schwer nachvollziehbare Verhaltensauffälligkeiten zurück. Nicht wenige Galgos haben rasende Angst vor Männern und Kindern.

Es ist also absolut gerechtfertigt, dass man seinem neuen Galgo bei der Übernahme ins eigene Heim eine bestmögliche Sicherung bietet. Ihr müsst euch vorstellen, dass ein Galgo, auch wenn er sich erst einmal scheinbar unbeeindruckt von allem zeigt, von der einen auf die andere Sekunde ein Fluchtverhalten wie ein scheues Wildtier entwickeln kann. Viele dieser Galgos haben wenige Erfahrungen mit Menschen und wenn doch, dann sind es eher schlechte, schmerzhafte Erfahrungen. Anders ausgedrückt: Meistens haben sie in der Vergangenheit nicht viel Erfreuliches kennen gelernt, das sie mit Menschen verknüpfen. Außerdem kennen sie nur in Ausnahmefällen eine Haltung im Haus.

Ein Galgo tut im neuen Umfeld also das, was ihm in seinem alten Leben bisher Nutzen gebracht hat. Er verhält sich möglichst unauffällig. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Hund entspannt ist und sich sicher fühlt. Bei der erstbesten Überforderung oder aus Hundesicht gefühlter Gefahrensituation heraus, also bei der ersten sich ihm bietenden Gelegenheit tut er eventuell das, was wir alle fürchten: Er läuft weg.

Man kann es einfach nicht oft genug wiederholen. Sichert euren Galgo!!! Er braucht ein gut sitzendes Sicherheitshalsband, aus dem er nicht hinausschlüpfen kann. Schicke Windhundhalsbänder mit Schnick-Schack und viel Bling-Bling kann er auch später noch bekommen. Ebenso braucht der Galgo ein gut sitzendes ausbruchsicheres Geschirr. (Bezugsadressen für sicheres Windhundzubehör werden wir demnächst einstellen). Kauft euch Leinen (keine Flexileinen!), die anständige Karabiner haben und die nicht beim zweiten Sprung in die Leine zerbrechen. Sichert den Galgo mit 2 Leinen. Nehmt jede Leine fest in je eine Hand. Zum besseren Verständnis sage ich oft: Sind die Galgos artig, kannst du 5 an einer Hand halten, sind sie es nicht, braucht du 5 Hände für einen Galgo. Vorsicht mit der Idee, eine der Leinen am Gürtel zu befestigen, das kann unter Umständen fiese Stürze mit unabsehbaren Gesundheitsschäden zur Folge haben.

Der Umgang mit dem neuen Familienmitglied

Geht mit eurem Galgo vorerst kurze Runden in möglichst ruhiger, langweiliger Umgebung. Natürlich sollte er ausreichend oft die Möglichkeit haben, seine Geschäfte zu erledigen, aber erspart ihm zu viele neue Eindrücke auf einmal. Verständlicherweise möchtet ihr euren schönen Galgo vorzeigen, aber zu Beginn bitte kein Samstags-Shopping in der City, keine Volksfeste, keine U-Bahnfahrten zur Hauptverkehrszeit, keine lauten wilden Kindergeburtstagsfeiern mit 25 Knirpsen oder ähnliche Unternehmungen, die den Galgo nur über Gebühr stressen. Euer Hund wird es euch danken.

Er hat wahrlich auch so schon genug zu verarbeiten. Und dafür braucht er unbedingt einen ungestörten Rückzugsort und Schlaf, viel Schlaf. Am besten an einem geschützten, etwas erhöhten Platz. Natürlich schätzen alle Galgos hohen Wohnkomfort. Ein Sessel z. B. wird immer sehr gerne angenommen.

Bitte reflektiert euer Verhalten gegenüber dem Galgo. Gut gemeinte Knutscheinheiten mit in den Arm nehmen, oder sich über den Hund beugen und von oben den Kopf tätscheln empfinden viele Galgos anfangs als bedrohlich. Es dauert eine Weile bis sie das Anfassen und Streicheln als Zuwendung deuten können. Gebt ihm die Gelegenheit, selbst zu bestimmen, wie viel Nähe er wünscht. Wenn er am Sonntagabend beim Tatort gucken zwischen euch auf dem Sofa liegen will, wird er es euch schon zeigen. Und man kann bei aller Liebe nicht in wenigen Tagen wiedergutmachen, was dem Hund in seinem bisherigen Leben möglicherweise widerfahren ist. Es braucht einfach seine Zeit, viel Schlaf und viel Ruhe.

Habt Geduld und gebt eurem Galgo einfach mal drei Monate Zeit. Dann ist er schon ein ganz anderer Hund. Natürlich muss man ein gesundes Mittelmaß finden zwischen zu viel und zu wenig nach draußen gehen, denn bei der Erziehung zur Stubenreinheit, ebenso wie beim Üben von alleine zu Hause bleiben, muss man nicht selten wie mit Welpen bei Null anfangen. Zum Glück haben die meisten Hunde es schnell raus.

Ihr tut eurem Galgo einen großen Gefallen, wenn alle Familienmitglieder sich vorher auf einen gemeinsamen Erziehungskurs verständigt haben. Ähnlich wie bei Kindern, behutsam, ruhig, liebevoll, aber konsequent, feste Regeln. Eine sich wiederholende Alltagsroutine tut unsicheren Hunden gut.
 

Fütterung

Bei uns gibt es zweimal täglich Futter. Das hat sich am besten bewährt, damit die Mahlzeiten nicht zu groß sind. Nach den Mahlzeiten wird geruht. Für welches Futter ihr euch entscheidet, ist reine Gesinnungsfrage. Es gibt eine Riesenauswahl für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel. Nur bitte nicht vegan, ihr habt euch einen Hund angeschafft, kein Kaninchen. Ich denke, wer bei der Ernährung seines Hundes allzu sparsam ist, der wird das eingesparte Geld früher oder später zum Tierarzt tragen.
 

Tür und Zaun - kein Hindernis für einen Galgo

Nun ist Sicherheit aber nicht nur in den ersten Tagen und draußen oder im Auto ein Thema. Egal wie ihr wohnt, ihr müsst euch angewöhnen, dass Türen und Fenster gesichert sind. Gerade wenn in eurem Haushalt eventuell Kinder leben oder viele Leute bei euch ein und aus gehen. Ganz besonders, wenn hinter der Haustür/Wohnungstür gleich die Freiheit lockt. Auch wenn es nervt, ihr müsst jede Möglichkeit, dass der Hund alleine Haus oder Wohnung verlassen kann, zu seiner Sicherheit unterbinden. Sein Leben kann davon abhängen.

Dazu müsst ihr euch einfach auch mal vorstellen, dass euer Galgo sich vielleicht nicht so auf euch gefreut hat, wie ihr auf ihn. Er ist aus seiner vertrauten Umgebung gerissen worden, egal ob die für ihn schön war oder nicht. Jetzt ist alles fremd und unbekannt. Wenn er stiften gehen kann, wird es es tun, egal ob aus Furcht oder aus Neugierde, aus Jagdtrieb oder einfach, weil er vielleicht schon jahrelang ein Streuner war und seinem Freiheitsdrang nachgehen möchte. Viel Platz braucht ein Galgo nicht, um zu entwischen, eine winzige unachtsame Sekunde und ein 15-cm-Spalt genügen! Ist der Galgo erst einmal weggelaufen, ist die Wahrscheinlichkeit, ihn lebend wieder zu finden, verschwindend gering.

Es gilt im Übrigen auch den Garten mit ganz neuen Augen zu sehen. Wirklich sicher ist er nur, wenn er dem Hochsicherheitstrakt Stammheim gleicht. Will der Galgo hinaus kommen, wird er es vermutlich auch schaffen. Galgos können gewaltige Sprünge absolvieren, sie können klettern und sie können graben. Hat der Zaun eine Schwachstelle, wird der Galgo sie finden. Bei mir kommen neue Hunde nur an eine lange Schleppleine (keine Flexileine!) und nur in Begleitung in den Garten. Diese Maßnahme kann bis zu 6 Wochen lang angemessen sein, bei einigen Hunden auch viel länger. Ihr werdet früher als mir lieb sein kann im Internet zu lesen bekommen, dass ein Windhund unbedingt frei laufen muss, sonst wird er nicht glücklich. Das gilt ganz gewiss nicht für einen gerade angekommenen Galgo ohne Vertrauen und ohne Bindung. Seid nicht zu leichtgläubig. Foren und Facebook-Gruppen funktionieren auch ohne Qualitätskontrolle. Jeder kann dort sein Halbwissen zum Besten geben. Und ein seriöses qualifiziertes Hundetraining gibt es niemals per Ferndiagnose, pauschal für alle Hunde gültig und dazu noch gratis. Gleiches gilt im Übrigen für Gesundheitsfragen. Optimalerweise sucht ihr euch einen Tierarzt mit Windhunderfahrung.

Es gibt einen geringen Prozentsatz von Galgos die lernen möchten mit Katzen, Geflügel und anderen Beutetieren auszukommen. Lasst euch also nicht all zu sehr beeindrucken von Fotos die man im Internet zu sehen bekommt. Galgos mit Katzen, Hasen, Meerschweinchen etc in trauter Einigkeit auf dem Sofa. Euer Galgo gehört möglicherweise nicht dazu. Vergesst  nie. Ihr holt euch einen hoch spezialisierten Jäger ins Haus, von dem bisher noch nie jemand etwas anderes gefordert hat als perfekt zu jagen.
 

Fazit

Nun komme ich endlich zum Ende und dies ist wirklich ein langer Erfahrungsbericht geworden, der überwiegend auf mögliche Gefahren und Anfangsprobleme hinweist. Sollte nach dem Lesen dieser Zeilen jemand erkennen, dass ein Galgo eventuell doch nicht die geeignete Rasse für ihn ist, dann hat der Bericht trotzdem Gutes bewirkt. Allen anderen möchte ich Mut machen, das Abenteuer Galgo zu wagen, und unbedingt noch abschließend schreiben, dass die Fortschritte und positiven Entwicklungen, die meine Tierschutz-Galgos in den letzten 10 Jahren durchlaufen haben, jede Mühe wert waren. Ich habe es nie bereut und würde es immer wieder tun.