Über Angsthunde

verfasst von Tanja Florian
 

Der Verein Galgorettung Fränkisches Seenland hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch jene Galgos aus Spanien aufzunehmen, die kaum eine Chance auf Vermittlung haben. Die Zahl der Angsthunde in den spanischen Auffangstationen ist groß und – so scheint es uns zumindest – wächst kontinuierlich. Diesen Hunden gilt unser besonderes Augenmerk. Aus diesem Grund möchten wir Ihnen etwas zu diesem Thema mit auf den Weg geben. Für alle jene, die sich auf unserer Website in ein Angstnäschen verlieben und mit ihm gemeinsam in ein neues Leben aufbrechen wollen.
 


Angsthunde verstehen

 

Was ist ein Angsthund?

Es gibt vorsichtige Hunde, Hunde, die mit Scheu auf bestimmte Situationen reagieren und solche, die einfach misstrauischer durchs Leben gehen als andere. Und dann gibt es Angsthunde. Das sind Hunde, die mit einer unbestimmten, für uns Menschen übertrieben empfundenen Angst durchs Leben gehen. Hunde, deren Seelen von der Angst gefangen gehalten zu sein scheinen, für die jede neue Situation, jede Veränderung mit einer für sie nicht kontrollierbaren Angstreaktion fest verbunden scheint. Bei unseren Tierschutzhunden sind es meist von Menschen ausgeführte Handlungen oder die bloße menschliche Gegenwart, die sie extrem in Panik geraten lässt.

Bei den meisten von ihnen zeichnet sich schon von ihrem Wesen her eine grundlegende Unsicherheit und Ängstlichkeit gegenüber allem und jedem ab. Im Laufe der Zeit beginnen sich dann die tatsächlichen tiefsitzenden Traumata herauszukristallisieren, während andere Ängste immer mehr in den Hintergrund rücken. So kann es durchaus sein, dass ein Angsthund nach einer Weile gern spazieren geht, dass er aber beim Spaziergang in Panik gerät, wenn z. B. fremde Menschen auftauchen, ja sogar näherkommen. Solche Ereignisse können ihm den Spaziergang verleiden und er wirkt dann generell unsicher, obwohl er eigentlich vor unbekannter Umgebung sonst gar keine Angst hätte.

Was läuft bei einer Angstreaktion ab?


Jeder von uns hat schon einmal Angst empfunden. Um sich einmal vor Augen zu führen und für einen kurzen Moment nachzuempfinden, was dabei eigentlich abläuft, versetzen Sie sich bitte in folgende Situation:

Stellen Sie sich vor, sie gehen spazieren, in einem Land, einer Umgebung, die Ihnen vertraut ist. Dabei ist es ohne Belang, ob es sich dabei um einen Stadtbummel oder um einen Spaziergang in einer wunderschönen Landschaft handelt - das macht keinen Unterschied; es kommt nur auf das Gefühl an, das Sie in dieser Situation empfinden: Entspanntheit, Ruhe. Gelassen schlendern Sie Ihres Weges, bleiben an Schaufenstern stehen oder an Blumen, um sie zu betrachten. Sie genießen den Augenblick, das Hier und Jetzt in dieser für Sie friedvollen Umgebung. Doch plötzlich, wie aus dem Nichts, taucht etwas vor Ihnen vor, groß, riesig, dunkel, bedrohlich, Ihr größter Alptraum, das absolute Grauen! Es kommt näher, baut sich vor Ihnen auf! Adrenalin schießt in Ihren Körper, die Umgebung um Sie herum existiert in diesem Moment nicht mehr, Sie spüren weder Boden noch Halt unter Ihren Füßen, Ihre Knie werden weich und Ihre Beine beginnen zu schlottern. Stopp! Genau hier hören wir auf, weiter darüber nachzudenken, denn wir sind gerade nicht in der Lage zu denken. Unser Gehirn schaltet auf Notprogramm, Denkprozesse aller Art funktionieren in diesem Moment nicht mehr. Das Letzte, was wir uns jetzt als Mensch in so einer lebensbedrohlichen Situation wünschen, ist, dass uns jemand ein Stück Schokolade hinhält. Wer könnte diese jetzt annehmen, schlucken und das Monster, den Alien, den Mörder, Räuber, oder was auch immer Sie sich gerade vorgestellt haben, vergessen? Das funktioniert nicht! Im Zustand der Angst werden alle anderen, gerade nicht lebenswichtigen Prozesse abgeschaltet und es geht nur noch um die reine Selbsterhaltung: man reagiert zunächst mit Erstarren, danach entweder mit Flucht, Angriff zur Selbstverteidigung oder Kapitulation als Ausdruck absoluter Hilflosigkeit. Erst wenn es gelingt, die Furcht so weit einzudämmen, dass ein Denkprozess wieder anlaufen kann, wird auch der Zugriff auf das Repertoire des Erlernten wieder möglich. Dann erst kann das Gehirn die vermeintliche Gefahrensituation bewerten und möglicherweise zurückmelden: „Alles halb so schlimm, ein Irrtum, das Ding ist harmlos“.

Jetzt hat es sich in diesem Fall lediglich um einen Angstauslöser, ein Erschrecken, gehandelt und nicht um eine angstauslösende Erfahrung, die man möglicherweise wiederholt in seinem Leben gemacht hat. Und dennoch kann jeder von uns den enormen Stress spüren, den so eine Situation mit sich bringt.


Genauso wie bei uns läuft auch eine Angstreaktion in einem Hund ab. Befindet er sich in solch einem Angstzustand, kann er durchaus auch sehr extrem reagieren, z. B. mit panischer, kopfloser Flucht oder, angeleint, mit besinnungslosem Schnappen, wobei er in einer solchen Situation vergessen zu haben scheint, wer Freund und Feind ist. Im günstigsten Fall erstarrt er und verharrt, bis die Situation für ihn geklärt ist. Er kann die Angstreaktion nicht bewusst steuern oder überlegt handeln. Alles was passiert, passiert einfach und bricht aus ihm heraus. Es liegt daher an uns, den von Angst beherrschten Hund durch eine solche Situation zu führen, ihm zur Seite zu stehen, ihm Halt zu geben oder ihn gegebenenfalls ganz aus der Situation herauszuführen, indem man ruhig und Sicherheit vermittelnd eine angemessene Distanz zu dem Angstauslöser aufbaut, bis der Hund wieder ansprechbar wird.

Schaffen wir es, unserem Hund den nötigen Halt und die Sicherheit zu vermitteln, an dem es ihm selbst noch fehlt, wird er uns im Laufe der Zeit immer mehr vertrauen und allmählich beginnen, sich auf uns zu verlassen. Je besser es uns gelingt, kritische Situationen für ihn zu entschärfen umso mehr wird er die Möglichkeit haben, unter für ihn besser kontrollierten Bedingungen Erfahrungen zu sammeln und dazuzulernen. Aber es werden auch immer wieder Momente kommen, in denen man ihm aufs Neue einfach beistehen und sein Fels in der Brandung, sein Rettungsanker, sein muss.

Über unser Arbeit mit den Angsthunden - Die Geschichte von Gob


Um unsere Arbeit an einem Beispiel zu beschreiben, habe ich mir Gob ausgesucht. Er ist nun genau zwei Jahre in unserer Auffangstation im Fränkischen Seenland. Ein einziges "Paniknäschen", als er im Oktober 2018 bei uns ankam. Ein Galgo, der versuchte, in blinder Flucht durch die Gitterstäbe des Zauns zu springen, wenn man sich nur langsam auf ihn zubewegte. Von Anleinen, Gassigehen oder auch nur einer Berührung waren wir weit entfernt. An eine Vermittlung war nicht zu denken. Ein langer gemeinsamer Weg des Lernens voneinander und miteinander begann.

Gob hat es geschafft und nach und nach immer mehr Ängste abgelegt. An den früheren Gob erinnert uns heute nichts mehr. Der neue Gob, den wir liebevoll Gobi nennen, ist mit uns Menschen unterwegs, er spielt ausgelassen, kuschelt, liegt neben einem oder sogar auf einem in der Wiese, freut sich über Zweisamkeit und gemeinsame Spaziergänge. Was blieb, sind Vorsicht und Scheu gegenüber fremden Menschen.

Was war passiert und wie wurde aus Gob nun für uns dieser neue Gobi? Welche Möglichkeiten gibt es, mit einem Angsthund zu trainieren? Vorweggenommen: Ein Patentrezept, einen Angsthund zu trainieren, gibt es nicht. Jeder Angsthund ist individuell. Jeder bringt seine eigene Persönlichkeit, seine eigene Geschichte und seine eigenen Ängste mit. Es ist daher unmöglich, eine Liste zu erstellen oder eine Anleitung zum Training zu verallgemeinern. Den Lehrbüchern nach erzielt man die meisten Erfolge mit systematischer Desensibilisierung und mit Habituationstraining und auch hier hängt es wie immer vom Hund ab.

Aber egal wie man vorgehen will, der Schlüssel zu einem erfolgreichen Training liegt in der Beobachtung des Hundes, dem Lesen seiner Körpersprache, dem Erkennen seiner Persönlichkeit und der eigenen Intuition, mit dieser umzugehen. Die Basis dazu ist immer Geduld, Vertrauen und ganz viel Liebe und Zeit.

Wie ist das gemeint? Wir bleiben bei Gob und erzählen hier nun seine Geschichte. Gob war in seiner Angst so gefangen, dass wir ihm anfangs viel Zeit gegeben haben, um uns Menschen in seiner Nähe überhaupt ertragen zu können. Gob musste begreifen, dass keine Gefahr von uns ausgeht. Er musste die Sicherheit vermittelt bekommen, dass er sich jederzeit zurückziehen kann, wenn es ihm zu viel wurde.

In dieser Zeit haben wir ihn viel beobachtet und konnten feststellen, wie souverän er sich anderen Hunden gegenüber verhielt und was für ein witzig verspielter Kerl doch in ihm steckte, wenn der Angstauslöser Mensch nicht in der Nähe war. Immer wieder näherten wir uns ihm vorsichtig, um gleich darauf wieder auf Distanz zu gehen, wenn seine Körpersprache uns verriet, dass es ihm unangenehm wurde. So entsteht eine Art Tanz mit dem Hund – ein Wechsel aus Annäherung, Rückzug und Ruhephasen. Bei diesem Tanz gibt der Hund den Takt und die Geschwindigkeit vor. Ein vorsichtiges Annähern mit dem Blick darauf, den Abstand sofort wieder zu vergrößern, wenn Beschwichtigungssignale gezeigt werden. Ein Herantasten, gemeinsames Verweilen und zur Ruhe kommen lassen, um Akzeptanz zu schaffen. Aus dem Gewähren von Rückzugsmöglichkeiten entstand Vertrauen, das Gob letztendlich dazu bewegte, auch einmal selbst einen Schritt auf uns zuzugehen.

So geschah es, dass Gob nach und nach seine Distanz zu uns von sich aus veränderte. Aber erst nach mehreren Wochen des gemeinsamen Tanzens war es so weit. An einem kalten Wintertag beschloss Gob, dass die Zeit für ihn gekommen war. Plötzlich stand er inmitten der anderen Hunde neben mir in der Hütte, als wäre dies einst Undenkbare auf einmal zum Normalsten der Welt geworden. Als wollte er plötzlich sagen „Okay. Da bin ich. Ich bin bereit!“. Ein Moment, in dem einem das Herz aufgeht und die Tränen einfach vor Glück zu laufen beginnen. Zum ersten Mal gewährte mir Gob eine vorsichtige Berührung. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte er das nicht. Bis zu diesem Moment kannte er auch nur sein Gehege. Aber von nun sollte sich alles ändern, denn er war da und er wollte dabei sein. Die Geschichte von Gob endet hier natürlich nicht, aber ab diesem Moment öffnete sich ein neues Kapitel in seinem Leben. Mit jedem weiteren Tag veränderte er sich und erlaubte uns mehr und mehr Nähe. Er öffnete seine verängstigte Seele und sein gebrochenes Galgoherz und gewährte uns Zugang.
 

 

Die Adoption eines Angsthundes


Alles auf Anfang

Und mit einem Mal ist alles anders! Nicht nur für Sie wird sich etwas ändern - auch für den Hund, dem Sie eine Chance auf ein völlig anderes Leben geben. Wir beschreiben unsere Hunde nach bestem Wissen und Gewissen. Das heißt aber nicht, dass Sie Ihren Hund in diesem Stadium des Seins übernehmen. Das Leben in Ihrer Familie ist für den Hund wieder ein Neubeginn.

Eine Familie, ein Zuhause kennen diese Hunde aus der Auffangstation, die wir begleiten und trainieren, nicht oder es ist mit einer schlechten Erfahrung verknüpft. Zu der Scheu, die der Hund Ihnen als neue Bezugsperson entgegenbringen wird, wird noch mehr kommen. Geräusche im Haus, die er nicht kennt. Ein Fernseher, Lichter, wechselnde Bodenbeläge, Straßenlärm usw. stellen Herausforderungen dar, die Sie gemeinsam mit Ihrem Hund meistern müssen. Sie sind es, der ihn nun durch eine neue Welt führen wird und wie bei jedem anderen Hund gilt, je souveräner Sie sind, umso eher wird er Ihnen folgen und diese Führung mit Wohlwollen annehmen. Vermitteln Sie ihm Sicherheit, zeigen Sie ihm, dass Sie die Lage in jeder Situation im Griff haben und er sich zu 100 % auf Sie verlassen kann.

Trotz allem, was wir mit dem Hund trainiert haben, trotz der Fortschritte, die er schon in der Station gemacht hat, gilt es für Sie, von Neuem zu beginnen. Das heißt, Vertrauen aufbauen, Liebe schenken, Geduld entgegenbringen und Zeit geben. Den gemeinsamen Weg mit ihren Hund gehen fortan Sie. Es wird in schnellen Schritten vorwärts gehen oder langsam, den Takt und die Geschwindigkeit wird Ihr Hund vorgeben. Es werden Momente kommen, an denen Sie verzweifeln und wieder Rückschritte machen müssen, nach denen Sie neuen Mut schöpfen müssen, um aufs Neue von vorne zu beginnen. Jeder Tag wird besonders sein, jeder Tag wird anders sein, jeder kleinste Vertrauensbeweis wird etwas ganz Besonderes werden.

Vor einer Adoption


Bevor Sie einen Angsthund bei sich aufnehmen, überlegen Sie bitte, ob Sie die entsprechenden Voraussetzungen dazu mitbringen, sich einen solchen Hund zutrauen und ob er in Ihr familiäres Umfeld passt. Auch über Ihre eigenen Beweggründe, die Sie zu einer solchen Adoption veranlassen, sollten Sie sich im Klaren sein. Ebenso darüber, dass die Aufnahme eines Angsthundes das eigene Leben zumindest in den ersten Wochen und Monaten grundlegend beeinflussen, einschränken und verändern kann.

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir unsere Angstnäschen nur in ein Zuhause mit Garten vermitteln möchten. Der Hund sollte sich langsam an seine neue Umgebung und an Sie als Bezugsperson gewöhnen dürfen; eine sofortige Konfrontation mit Straßenverkehr und Gassigängen in belebtem Gebiet könnte ihn überfordern oder sogar gefährden.

Beschäftigen Sie sich im Vorfeld noch einmal eingehend mit der Körpersprache der Hunde. Verinnerlichen Sie, was Beschwichtigungssignale und andere nonverbale Kommunikationszeichen bei Hunden sind. Ihr Hund kann sich Ihnen gegenüber nicht anders ausdrücken und daher ist es von fundamentaler Wichtigkeit, dass Sie ihn verstehen und lesen können. Umgekehrt wird er sich zunächst ausschließlich an Ihrer Körpersprache orientieren und Sie entsprechend beobachten. Machen Sie sich bewusst, wie Sie selbst auftreten und nach außen wirken, besonders aus der Sicht eines Hundes. Hunde und Menschen haben völlig andere, ja geradezu gegensätzliche Kommunikationsweisen und von daher können Missverständnisse vorprogrammiert sein. Von uns Menschen als höflich, lieb gemeint oder zumindest harmlos eingestuftes Verhalten, wie z. B. direkter Augenkontakt, liebevolles Tätscheln auf dem Kopf oder direkte Annäherung von frontal (meist sogar mit dem Kopf voran), kann in der Hundewelt als grob unhöflich, sehr unangenehm, als Bedrohung oder sogar als Aggression aufgefasst werden. Um solchen Missverständnissen vorzubeugen, rufen Sie sich nochmal in Erinnerung, dass ein frontales Zugehen für den Hund als Angriff gewertet, dass bloßes Ansehen als eine Bedrohungslage empfunden und auch eine Berührung anfangs nicht zugelassen werden kann. Umarmungen und andere Liebkosungen werden daher zu Beginn nicht möglich sein und sollten auch nicht erzwungen werden.

Sprechen Sie hierüber auch mit den anderen Familienmitgliedern und insbesondere mit Ihren Kindern. Es gibt unzählige traurige Beispiele von Beißvorfällen, bei denen der Hund zuvor verzweifelt sämtliche Stufen der Eskalationsleiter (mit subtiler Beschwichtigung beginnend) durchlaufen hat, die allesamt vom Menschen ignoriert wurden. Wenn der Hund sich in seiner Not nicht mehr anders zu helfen weiß als Zuzuschnappen, ist in der Regel im Vorfeld schon viel übersehen worden oder falsch gelaufen. Das wäre ein Worst-Case-Szenario, das wir uns weder für Ihre Familie noch für einen unserer Schützlinge wünschen würden.

Ein Angsthund kommt in die Familie
 

Für die erste gemeinsame Zeit möchten wir Ihnen hier ein paar Anhaltspunkte geben, die Ihnen im Umgang mit Ihrem Angsthund helfen können:

  • Seinen ersten Ruheplatz im Haus sollte sich der Hund selbst aussuchen dürfen. Sie können ihm verschiedene Plätze als Rückzugsmöglichkeiten anbieten; er wird dann entscheiden, welchen er für sich als "sicher" empfindet.

  • Angsthunde wollen erst einmal Ruhe und werden zu Beginn viel schlafen. Hierbei werden Stresshormone abgebaut. Gestehen sie Ihrem Hund diese Ruhe zu.

  • In der Anfangszeit kann es vorkommen, dass Ihr Hund nachtaktiv wird und im Haus umherwandert. Er möchte sein Zuhause für sich alleine erkunden, daher hat er gewartet, bis es im Haus ruhig ist.

  • Die ersten Tage, vielleicht auch Wochen, ist es nicht nötig, dass der Angsthund Gassi geht. Lassen Sie ihm Zeit. Es reicht, den Hund an der Leine (keine Flexileine!) regelmäßig in den Garten zu führen, damit er sich lösen kann und den Garten an Ihrer Seite als sicheren Ort kennenlernt.

  • Sichern sie den Angsthund auch im Haus mit einem GPS-Gerät. Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen ein Angsthund aus dem Haus flüchten kann.

  • Bitte keine übertriebenen Erwartungshaltungen in Form von Dankbarkeit. Ein Hund kann Ihnen keine Dankbarkeit für eine Adoption entgegenbringen, das wäre rein menschliches Verhalten/Denken. Er wird immer ein Hund sein und auch mit hündischem Verhalten reagieren. Aus seinen Augen werden sie zunächst als Bedrohung wahrgenommen; er hat ja noch keine andere Erfahrung mit Ihnen gemacht und die meisten Erfahrungen, die er auf seinem bisherigen Lebensweg machen durfte, waren von Schmerz und Angst bestimmt, denen er sich eben durch Flucht entziehen musste.

  • Verwenden Sie zum Gassigehen unbedingt ein Geschirr. Der Halsbereich ist auch beim Hund sehr empfindlich. Unnötiges Herumreißen am Halsband ist nicht nur schmerzhaft, sondern verursacht zusätzlichen Stress und Angst. Auch an der Leine (keine Flexileine!) kann es nützlich sein, dem Hund Raum zu geben, eine Anfangsdistanz zu gewähren und die Leine lang zu lassen. Zur Sicherheit empfehlen wir ein Dreipunktgeschirr. Auf eine Angstreaktion hin wird Ihr Hund sich klein machen und instinktiv nach hinten zurückweichen. Halten Sie nun nach vorne dagegen, so ziehen Sie das Geschirr über seinen Kopf hinweg und er kann möglicherweise herauszuschlüpfen. Um dem vorzubauen, geben Sie seiner Distanzvergrößerung zum Angstauslöser nach. Bieten Sie ihm Schutz, um die Situation für ihn zu entschärfen.

  • Führen Sie Rituale im täglichen Zusammenleben ein. Hunde lieben Rituale, denn diese vermitteln ihnen Sicherheit.

  • Leben Sie von Anfang an einen normalen Alltag. Das heißt, dass Sie sich ganz normal bewegen und nicht anfangen herumzuschleichen, nur um ihn nicht aufschrecken zu lassen. Der häusliche Ablauf und auch Ihr Verhalten sollen für den Hund berechenbar werden, daher alles so normal wie möglich ablaufen lassen. Auch wenn Sie Urlaub genommen haben, versuchen Sie ihren Alltag zu leben, damit sich Ihr Hund nicht ein weiteres Mal auf eine neue Lebenssituation einstellen muss. Damit sind auch Auszeiten gemeint. Sie müssen nicht den ganzen Tag verfügbar sein und sich in direkter Nähe des Hundes aufhalten. Nehmen Sie sich diese Auszeiten von Ihrem Hund, damit gönnen Sie ihm umgekehrt Auszeiten von sich.

  • Reflektieren Sie sich immer wieder selbst. Wie wirken Sie auf den Hund? Was gilt es für Sie zu verbessern?

An die Hand geben möchte ich Ihnen noch eine grundlegende Sache: Angst ist eine Emotion, die plötzlich da ist. Ihr Hund kann nichts dafür! Emotionen, die plötzlich da sind, können wir, genau wie der Hund auch, nicht beeinflussen. Wenn wir gerade Wut spüren, kann der schönste Regenbogen am Himmel erscheinen und wir könnten uns in diesem Moment einfach nicht darüber freuen.

Das bedeutet auch, dass Emotionen sich gegenseitig ausschließen. Erlebt der Hund demnach gerade eine Angstsituation, wird er kein Leckerli von Ihnen annehmen. Er kann einfach nicht! Auch das hat überhaupt nichts mit Ihnen als Bezugsperson zu tun, sondern ist eine Körperreaktion, die nicht steuerbar ist.

 

Einen Hund in einer Angstsituation beizustehen, hat nichts mit der Bestätigung der Angstreaktion zu tun. Er wird dadurch nicht darauf konditioniert, dass er für seine Angst eine Belohnung in Form Ihrer Aufmerksamkeit erhält. In einer für den Hund beängstigenden Situation sollten Sie ihm zur Seite stehen und ihm Halt geben und Schutz vermitteln. Auch wir erwarten von einem Sozialpartner, dass er uns in einem beängstigenden Moment beisteht, uns nicht komplett ignoriert und einfach davongeht. Ignorieren Sie Ihren Hund daher ebenfalls nicht. Reagieren Sie souverän und nicht übertrieben. Ein übertriebenes Bedauern und Mitleiden würde zusätzlichen Stress verursachen und wäre nicht förderlich. Geben Sie ihm mit Ruhe den nötigen Halt. Das können Sie auch einfach durch Anwesenheit tun, indem Sie die Situation mit ihm gemeinsam erfassen und bewerten. Stellen Sie sich vor ihn, schirmen Sie ihn vor dem Angstauslöser ab, gehen Sie in die Hocke, stehen Sie ihm bei. Wie Sie diese Situation für ihren Hund entschärfen, kann situationsbedingt unterschiedlich aussehen, aber vermitteln Sie ihm in jedem Fall, dass Sie bei ihm sind und Schutz bieten können. Dadurch gewinnen Sie sein Vertrauen, so dass er sich mehr und mehr an Ihnen orientieren wird.
 

Bitte nehmen Sie sich immer wieder die Zeit, sich in Ihren Hund hineinzuversetzen, und versuchen Sie immer wieder, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Bringen Sie ihm keine übertriebenen Erwartungshaltungen entgegen und überfordern Sie ihn nicht. Er wird Ihnen zeigen, wenn er bereit für den nächsten Schritt ist.

Noch eine wichtige Bitte von uns: Melden Sie sich, wenn Sie Hilfe brauchen! Sie sind nicht allein! Auch nach einer Adoption wollen wir weiterhin für Ihren Hund und Sie da sein.

Angstnäschen sind etwas Einzigartiges. Das Gefühl, mit ihnen gemeinsam zu wachsen, ist unbeschreiblich. Das bedingungslose Vertrauen und die aufrichtige Liebe, die sie einem nach einem ganz besonderen gemeinsamen Weg entgegenbringen, ist das größte Glück der Welt.

Zusammen mit Ihrem Hund werden Sie von nun an diesen ganz besonderen Weg gehen. Sie werden ihm ihre Welt zeigen und dafür wird er Sie jeden Tag ein kleines Stück weiter in sein Herz lassen. Wie ein Kind werden Sie plötzlich bei banalen Dingen wieder Tränen in den Augen haben und gemeinsame Momente wie ein Fest feiern. Es wird der Moment kommen, wo er das erste Mal von sich aus vorsichtig ihre Nähe sucht; das erste Mal, wo er zu Ihnen aufs Sofa springt; das erste Mal, wo er Ihnen voller Glück entgegenläuft. Und es wird hoffentlich der Moment kommen, in dem die Angst kein zentrales Thema mehr für Sie und Ihren Hund ist.