Überarb. Neuauflage. Steinhöring : ars canis, 2022. 208 Seiten.
Das Schicksal der Windhunde Spaniens wird dank der unermüdlichen Aufklärungsarbeit von Tierschützern längst über die Grenzen ihres Ursprungslandes hinaus in ganz Europa zur Kenntnis genommen. Die sanften und sensiblen Galgos, deren Temperament erwacht, wenn sie im Garten oder Auslauf ihre Jagdspiele machen, bezaubern auch in Deutschland eine wachsende Zahl von Menschen. Und so haben Galgos aus dem Tierschutz zu Tausenden als Familienhunde den Weg auf die hiesigen Sofas gefunden – eine Wandlung vom spezialisierten Hochleistungsjäger des ländlichen Andalusien, nicht selten von seinem Jäger missachtet und misshandelt, zum Familienmitglied in einer urbanen, hochreglementierten Gesellschaft mit allen ihren Erwartungen und Restriktionen.
Die Kulturwissenschaftlerin Karin Dohrmann hat zusammen mit der Hundetrainerin Inga Böhm-Reithmeier nun ihr Standardwerk „Windhunde aus Spanien. Vom Jäger zum Familienhund“ aus dem Jahr 2010 in überarbeiteter und erweiterter Form neu aufgelegt. Schon für die Erstauflage hat Dohrmann nicht nur ihre langjährigen Erfahrungen mit ihren eigenen Galgos verarbeitet, sondern auch Gespräche mit vielen in Spanien aktiven Tierschützern geführt und nicht zuletzt Spanien selbst bereist, um sich ein vorurteilsfreies Bild von den Lebensbedingungen der Galgos in ihrem Ursprungsland zu machen. Bewusst vermeidet Dohrmann die Rassebezeichnung als „Galgo Español“ für diese Windhunde, da die spanischen Jäger gerne Greyhounds, Podencos, bisweilen aber auch andere Jagd- oder Hütehundrassen mit dem Galgo Español kreuzen, um Jagdspezialisten ganz nach ihren Bedürfnissen zu züchten.
Die Struktur der Kapitel folgt den möglichen Lebensabschnitten eines Galgos in Spanien. Es beginnt mit der Schilderung seines Lebens beim Jäger, wo er für die Hasenjagd oder für den Jagdwettkampf eingesetzt wird. Die Haltungsbedingungen dieser als reine Arbeitshunde von den Jägern genutzten Galgos werden beschrieben, die daraus möglicherweise resultierenden Folgen – Sozialisierungsdefizite, fehlende Stubenreinheit, Ängste vor dem Alleinsein – erörtert und Trainingsvorschläge gemacht.
Viele Galgos werden ausgesetzt, wenn sie sich als unbrauchbar für ihre Jäger erweisen, sei es aus Altersgründen, aus mangelnder Jagdpassion oder gerade weil der Galgo zu erfolgreich den Hasen jagt, was die Freude des Galgueros an einem möglichst langen und aufregenden „Run for Life“ des Hasen schmälert. Viele dieser Hunde landen auf der Straße und müssen um ihr Überleben kämpfen. Andere werden direkt in den spanischen Tötungsstationen abgegeben, wo sie unter elendesten Bedingungen bis zu ihrer Tötung oder – mit viel Glück – ihrer Rettung durch Tierschützer ausharren. Die aus diesen oftmals traumatischen Erfahrungen resultierenden Überlebensstrategien und Verhaltensweisen der Galgos können in ihrem neuen Leben als Familienhunde zu Schwierigkeiten führen, die einfühlsam gemeistert werden können, wie Dohrmann und Böhm-Reithmeier anhand konkreter Beispiele zeigen.
In einem abschließenden Kapitel werden Beschäftigungsmöglichkeiten für den Galgo diskutiert, angefangen bei abwechslungsreichen Spaziergängen, über Windhundausläufe, Kopf- und Nasenarbeit mittels Fährtenarbeit, Verlorensuche oder Apportieren.
Die Neuauflage ist großformatiger als die Erstauflage, wurde durch einige neue Fotos angereichert und enthält darüber hinaus ein paar neue Themenschwerpunkte. So wird nun der besonderen Kommunikationsfähigkeit der Galgos ein interessantes Kapitel gewidmet. Darin erläutern die Autorinnen die Besonderheit der Galgos, sehr schnell und präzise zu kommunizieren, was uns Menschen nicht selten überfordert, da wir nur Bruchteile dieser Kommunikation wahrnehmen, wenn wir darin nicht geübt sind. Hinzu kommt eine weitere Besonderheit: „die telepathische Verbindung der Hunde untereinander“, wie die Autorinnen es nennen, die durch gezielte Zucht und Einsatz im Jagdteam zur Hasenjagd gefördert wird. Welche Möglichkeiten dieses Kommunikationstalent des Galgos für den Menschen und die anderen Hunde in seiner Familie bietet, schildern die Autorinnen und verdeutlichen damit die Einzigartigkeit des Galgos.
Aufgrund ihrer Erfahrungen im Zusammenleben mit ihrem in Jungendjahren in Spanien traumatisierten Galgo Choco hat Karin Dohrmann dem Buch einen weiteren Themenschwerpunkt hinzugefügt, da Choco ihr die Möglichkeiten und Grenzen des Lebens mit einem Galgo mit Angststörungen vor Augen geführt hat. Nicht alle seelischen Schäden, die unsere Tierschutz-Galgos mitbringen, lassen sich heilen, aber es gibt immer einen Weg des verständnisvollen und glücklichen Miteinanders.
Auch die Auffangstation der Galgorettung Fränkisches Seenland in Thalmässing wird in der Neuauflage von Dohrmann vorgestellt, denn dabei handelt es sich um eine einzigartige Einrichtung in Deutschland. Dohrmann sieht die Vorteile dieser Auffangstation vor allem für ängstliche und menschenscheue Galgos, die dort ein vertrautes Umfeld in Kleingruppen vorfinden und schrittweise auf ihr neues Leben als Familienhund vorbereitet werden können.
Eine kleine, aus unserer Sicht aber sehr wichtige Ergänzung hinsichtlich der Rolle von Kohlehydraten bei der Ernährung des Galgos erfolgt ebenfalls in der vorliegenden Auflage. Die Autorinnen kritisieren extreme Barf-Tendenzen, bei denen mit der irrigen Argumentation, der Hund stamme vom Wolf ab, ein viel zu hoher Fleischanteil bei der Fütterung begründet wird, was im Extremfall zur fast ausschließlichen Fütterung mit Fleisch führen kann – ein Fehler, der fast zwangsläufig schwere gesundheitliche Schäden und Verhaltensauffälligkeiten nach sich zieht. Die zeitweilig völlig zu Unrecht verpönten Kohlehydrate spielen also eine wichtige Rolle in der Ernährung der Galgos und tragen wesentlich zu ihrer Ausgeglichenheit und Stressresistenz bei.
Es gibt in diesem Buch selbst für erfahrene Galgohalter immer noch viel Neues zu entdecken und zu lernen. Das macht es zu einem Must-have für jeden Galgoliebhaber. Die Neuauflage dieses Klassikers ist im Eigenverlag erschienen und kann über www.ars-canis.de bei Karin Dohrmann bestellt werden.